„Schade,
dass ich wirklich bin“,
schreibt Siri Hustvedt in 'Der Sommer ohne Männer'.
Ein
kleines Mädchen spielt in der Nähe der Hauptfigur mit einem
Puppenhaus und Kuscheltieren. Hustvedt schreibt: „Ich
wandte mich wieder meinem Buch zu, aber die Stimme des Kindes lenkte
mich hin und wieder durch Ausrufe und lautes Summen ab. Einer kurzen
Stille folgte die plötzliche Klage: 'Schade, dass ich wirklich bin.
Drum kann ich nicht in mein kleines Haus gehen und drin wohnen!'
Ich
erinnerte mich, erinnerte mich an jene Schwellenwelt des Beinahe, in
der sich Wünsche fast verwirklichten. Konnte es sein, dass sich
meine Puppen nachts regten? Hatte sich der Löffel selbsttätig ein
paar Millimeter bewegt? Hatte meine Hoffnung ihn verzaubert?
Wirkliches und Unwirkliches wie spiegelbildliche Zwillinge, so nah
beieinander, dass beide lebendigen Atem verströmten.“
Als
Kinder haben wir unsere eigene Welt. Wir sehen eine Welt, aber nicht
die, die uns beigebracht wird. Wir sind noch nicht lange genug
anwesend, um derart beeinflusst worden zu sein, dass wir Feen und
Magie nicht mehr sehen. Alles ist möglich. Und so verkörpert ein
und dieselbe Stimme manchmal bis zu fünf verschiedene Puppen. In
diesem Moment sind es verschiedene Stimmen für uns. Da solle einem
mal einer beweisen, dass dem nicht so ist.
Sie
beweisen es. Und so wird aus unseren Vorstellungen etwas
Unwirkliches, Unwahrscheinliches. Wir setzen uns auseinander mit
Wirklichkeit und Hirngespinsten, lernen zu unterscheiden bis das eine
nicht mehr parallel zum anderen existieren kann.
Das
ist nicht unbedingt schlecht. Es geht fast nicht anders. Wir müssen
uns einigen auf bestimmte, einige Gegebenheiten. Anderenfalls wäre
eine Gesellschaft undenkbar. Auch wenn diese noch so oft kritisiert
wird, so gibt es sie doch. Wir brauchen sie wohl, denn wie sollten
wir ohne Mitmenschen leben?
Wir
passen uns also an, werden erwachsen. Doch legen wir das Träumen von
Widersprüchen zur Realität nie ab. Es entstehen Sätze wie: Wenn
ich doch nur reich wäre, dann könnte ich mir alles leisten. Wenn
ich doch nur gesund wäre, dann würde ich mein Leben genießen.
Wunschdenken
begleitet uns immer, jedoch verändert es sich. So dachten wir früher
an Fantastereien, wo wir heute nur hypothetisch Mögliches in
Erwägung ziehen. Und obwohl unsere Träume bescheidener und
machbarer werden, so wünschen wir weiterhin, ohne zu glauben,
wohingegen wir damals glaubten, ohne wünschen zu müssen.
Manchmal
beschleicht einen der Gedanke, dass die Welt ohne diese
Vereinbarungen, die eine Gesellschaft ermöglichen, toller wäre.
Denn dann müsste niemand mehr äußern: „Schade, dass
ich wirklich bin“, denn
Wirklichkeit hätte keine Bedeutung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen