In
der Schule gibt es viele goldene Regeln. Eine davon lautet, dass man
sagen darf, was man will, solange man es begründen kann. Dies zeugt
dann nämlich davon, dass man seine Ansichten durchdacht hat und sie
möglicherweise sogar belegen kann. Größtenteils gilt sie auch
allgemein.
Diese
Regel verliert erst an Gültigkeit, sobald mir eine Person
gegenübersteht, die andere Meinungen nicht akzeptieren und fremde
Gedankengänge nicht nachvollziehen möchte. Sie hält stur an ihrem
fest und aus Angst sich zu verlieren – denn im Verlauf einer
verständnisvollen Diskussion, werden das ein oder andere Mal
einsichtig die eigenen Argumente entkräftigt – in der
Neuorientierung, verschließt man sich vor möglichen Zweifeln.
Eine
solche Person wird schnell als engstirnig, unangenehm, unsicher
angesehen. Das sind alles negative Wertungen. Immerhin erzielt man so
keinen Fortschritt.
Annemarie
Pieper, eine ehemalige Professorin für Philosophie an der
Universität Basel, schreibt in ihrem Werk „Einführung in die
Ethik“ unter anderem über „Relativismus in der Moral?“. Sie
beginnt damit, dass unterschiedliche Moralvorstellungen in
unterschiedlichen Gruppen herrschen und erklärt anhand des Beispiels
Salman Rushdie, der wegen angeblicher Blasphemie zum Tode verurteilt
wurde, dass wir uns sehr wohl einmischen dürfen in moralischen
Fragen außerhalb unseres Geltungsbereiches. Sie ruft zu 'kritischer
Intoleranz' auf und begründet ihre Meinung dadurch, 'dass es auf
einer übergeordneten, neutralen Ebene möglich sein muss,' zu einem
Konsens – also eine nahezu einstimmige Einigung – zu gelangen.
Sie
sagt also, dass wir anderen Gruppen unsere Moralvorstellungen
nahelegen sollten, weil diese sich am Allgemeinwohl orientieren und
wir uns durchaus auf Diskussionen einlassen, unsere Meinung bisher
jedoch immer erfolgreich verteidigen konnten.
Dabei
müsste man doch bedenken, dass diese Abweichungen von unseren
Vorstellungen nur beständig sind, weil sie ebenso ihre Gründe
haben. Sind wir nicht gerade so ignorant, wie wir es bei anderen
bemängeln? Da wir oft nur unsere Seite beleuchten, ohne den Versuch
zu starten, andere Meinungen nachzuvollziehen.
Mir
hat einmal jemand geraten, in einer Diskussion eine Ansicht zu
verteidigen, die vollkommen gegensätzlich zu meiner ist. So bleibt
der Versuch für Verständnis nicht oberflächlich. Danach kann man
schon besser darüber urteilen, ob die Meinung eines anderen wirklich
derart abwegig ist oder ob sie durchaus ansehnliche Standpunkte
vertritt.
Außerdem
muss erwähnt werden, dass nur weil wir eine Begründung für etwas
aufweisen können, es nicht automatisch dessen Richtigkeit bestätigt.
Im Mittelalter begründeten der Klerus und der Adel die
Ständegesellschaft damit, dass sie gottgewollt sei. Für heutige
Maßstäbe ist dieses Argument absurd, weil sich neue Sichtweisen
ergeben haben. Begründung ist also nicht gleich Beweis. Schließlich
kann es immer sein, dass uns etwas in unseren gut durchdachten
Belegen entgeht wodurch unsere Aussagen, die wir zu belegen suchen,
auch an Richtigkeit verlieren.
Wenn
wir Eigenschaften wie Engstirnigkeit oder kompromisslose Ablehnung
bemängeln, dann sollten wir vorbildlich das Gegenteil ausleben. Wie
wäre es mit mehr Verständnis und weniger Verächtlichkeit?
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